Burga Conradin A.

Einfluss der touristischen Nutzung auf die Pioniervegetation am Grünsee im Gletschervorfeld des Grossen Aletschgletschers

Project Number: CH-4534
Project Type: Master
Project Duration: 05/01/2010 - 10/31/2011 project completed
Funding Source: other ,
Project Leader: Prof. em. Conradin A. Burga
Gäuggelistrasse 52
7000 Chur
Phone: +41 (0) 43 288 51 50
e-Mail: cburga(at)geo.uzh.ch
http://www.geo.uzh.ch/phys/aboutus/

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Research Areas:
Biodiversity

Disciplines:
general biology
ecology


Abstract:
Der zunehmende Naturtourismus birgt Konflikte zwischen den Interessen der Erholungsnutzung und des Naturschutzes. Im Zuge der Entstehung neuer Gletschervorfeldseen stellt sich die Frage nach der Belastbarkeit der Ökosysteme an solchen Pionierstandorte generell und an den Seen im Speziellen. Als Fallbeispiel wurde die Umgebung des Grünsees im Gletschervorfeld des Grossen Aletschgletschers im Schutzgebiet Aletschwald untersucht, wo durch die Eröffnung einer Hängebrücke im Juli 2008 die Be- suchermenge schlagartig massentouristische Ausmasse angenommen hat. Die vorliegende Masterar- beit wendet natur- und sozialwissenschaftliche Methoden an, um den Trittfaktor an der Pflanzendecke und das Besucherverhalten zu untersuchen. Die Trittschädigung der Pflanzendecke dient als Indikator für die Belastung des Ökosystems, wobei neben dem Ausmass der Trittschäden die Belastbarkeit der Vegetation von Interesse ist. Letztere ist abhängig von der Regenerationsfähigkeit und der Empfind- lichkeit der vorhandenen Pflanzen ausgedrückt in Sensitivität und Disposition (Erreichbarkeit des Ge- bietes). Im Schutzgebiet Aletschwald gab es vorher keine vegetationskundlichen Grundlagen über das Gebiet Grünsee. Generell fehlen vergleichbare Untersuchungen zur Reaktion und Regeneration von Pioniervegetation in Gletschervorfeldern. Es ist zudem eine grosse Herausforderung für touristisch genutzte Gebiete, den Gästen das Naturerlebnis möglich zu machen und dabei den Lebensraum mini- mal zu belasten. Ziel dieser Arbeit war es infolgedessen, neben der Quantifizierung der Trittschäden und der Frequentierung des Gebietes Grünsee, Auswirkungen auf die Vegetation aufzuzeigen und ge- eignete Massnahmenvorschläge für eine durchsetzbare Besucherlenkung zu unterbreiten.
Die Flora wurde mit grober Angabe zur Häufigkeit in einer Gesamtartenliste erfasst. Die Veränderun- gen an der Vegetation wurden für die Substrate „Ufer“, „Moräne“ und „Felsschutt“ auf unbewaldeten Flächen mit Vegetations-aufnahmen nach Braun-Blanquet untersucht. Betrachtet wurden die Parameter Deckung, Artendiversität, ökologische Zeigerwerte und Überdauerungsformen. Weiter wurden Arten, welche schwerpunktmässig auf einem der Substrate oder in einer Schadensstufe vorkamen, als Kenn- arten ausgeschieden. Ergänzend zeigten Stichproben eines 10m-Grids die räumliche Verteilung der Arten und erlaubten, den Anteil der Substrate und Schadensklassen für das gesamte Untersuchungsge- biet abzuschätzen. Eine detaillierte Kartierung der Schäden erfolgte für alle Trampelpfade, die Feucht- gebietsvegetation der Ufer des Grünsees und für Felsschutt und Moräne bei mittel bis stark geschädig- ten Stellen. Zur Quantifizierung der Belastung des Gebietes wurden die Besucher automatisch gezählt und unterschieden nach der Gesamtbesucherzahl und der Anzahl Rastenden. Zur Kontrolle und Inter- pretation dieser Daten wurden Beobachtungen durchgeführt, welche ausserdem die Verteilung der Gäste um den See und die Belastung der Feucht-gebietsvegetation festhielten. Qualitative Interviews ergänzten die Untersuchungen und gaben wichtige Hinweise für die Analyse der Mängel an der heu- tigen Besucherlenkung. Den Meinungen wurde ein grosses Gewicht beigemessen, denn zu ergreifende Massnahmen sollten breite Unterstützung finden. Mit einer Eignungsanalyse im GIS (Geoinforma- tionssystem) wurden Zonen um den See als potentielle Rastplätze verglichen. Als Input dienten die vegetations-kundlichen Ergebnisse, die Besucherbefragungen und die Kartierungen.
Als Ergebnis dieser Arbeit liegt das Ausmass der Schäden und der touristischen Nutzung vor. Knapp die Hälfte der Fläche der Substrate Ufer, Moräne und Felsschutt um den See ist mittel oder stark ge- schädigt, und es sind 15 Mal mehr wilde Wege vorhanden als offizieller Wanderweg, wobei die Ten- denz zunehmend ist. Die Schadensentwicklung erfolgt schnell und es ist kaum mit einer Entspannung zu rechnen. Entgegen den Annahmen war die Besucherzahl 2010 nicht wesent-lich geringer als im Eröffnungsjahr. Mehr als 10'000 Gäste picknickten am Grünsee, was viel mehr Begehungen ent-spricht, als die meisten Pflanzenarten ertragen könnten. Mit der touristischen Nutzung geht deshalb ein grosser Arten-verlust einher. Die Analyse der Auswirkungen auf die Vegetation zeigt deren geringe Belastbar- keit, welche sich in einer schlechten Regenerationsfähigkeit und hohen Sensitivität der Arten äussert. Besonders betroffen sind Geophyten, Therophyten, krautige Chamaephyten und die für die Ökologie von Pionierstandorten sehr wichtigen Moose. Insgesamt leiden aber alle Arten unter der aktuellen Trittbelastung. Die stark geschädigten Feuchtgebietsbereiche weisen bereits standortfremde Arten der Fels- und Moränenvegetation auf. Weiter ist festzustellen, dass die meisten der 134 vor-kommenden Arten im Gebiet Grünsee kleine Populationen aufweisen und die sensibleren Arten in den weniger stark begangenen Zonen um den See (noch) häufiger sind.
Da die Regenerationsfähigkeit generell als klein angenommen werden muss, sind Massnahmen zum Schutz der Vege-tation zu treffen, bevor irreversible Schäden auftreten. 85 % der Gäste bewegen sich natürlicherweise ausschliesslich im nordöstlichen Drittel des Untersuchungsgebietes. Zur Besucher- lenkung und Minimierung der Schäden wird deshalb ein Rastplatz vorgeschlagen, welcher das Natur- erlebnis Grünsee nicht unterbindet, aber den Nutzungskonflikt räumlich entschärft und als Massnahme auf breites Verständnis und Unterstützung stösst. Dass die meisten Gäste die Schutz-gebietsinformation auf der Wanderung nicht wahrnehmen, führt zusammen mit einer unklaren Situation vor Ort zu un- überlegten und unbewussten Regelverstössen. Von grosser Bedeutung ist deshalb die Ergänzung der Schutzgebiets-informationen in sämtlichen Werbe- und Informationsmaterialien (vorzugsweise bild- lich), eine angepasste Besucher-information vor Ort, welche die Gäste anspricht sowie eine verstärkte Aufsicht.
Die vorliegende Masterarbeit kommt zum Schluss, dass die Erholungsnutzung das Gebiet Grünsee nachhaltig schädigt und die Belastungsgrenze bereits überschritten wurde. Die Dokumentation der Schäden, welche Vegetation und Standort durch den Erholungsverkehr erfahren haben, belegt einen problematischen Veränderungsprozess. Da Vergleichsdaten fehlen, macht die Arbeit keine abschlies- sende Aussage zur Regenerationsfähigkeit und schätzt die künftige Entwick-lung qualitativ ein. Sie bietet aber die Grundlage für die weitere Beobachtung des Gebietes und für eine Fortsetzung der Forschung über die Belastbarkeit von Pionierstandorten.

Publications:
Corrodi, Daniela. 2011. Einfluss der touristischen Nutzung auf die Pioniervegetation am Grünsee im Gletschervorfeld des Grossen Aletschgletschers. Analyse des Trittfaktors und Vorschläge für die Besucherlenkung. Masterarbeit, Geographisches Institut, Universität Zürich.
PDF Masterarbeit


Last update: 8/11/22
Source of data: ProClim- Research InfoSystem (1993-2024)
Update the data of project: CH-4534

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